Die Söhne Corneille und Colombo Max

Einführungsvortrag zur Ausstellung in Münsing vom 14. bis 30. Januar 2011
von Anatol Regnier

Bei der Würdigung von Söhnen tut man gut daran, auch deren Väter zu betrachten, und das umso mehr, wenn beide ihr Talent, ihre Passion und ihren Ehrgeiz auf ein und dasselbe Gebiet richten. Tun das bereits die Großeltern und vielleicht auch noch deren Eltern, spricht man von Dynastien, die, wie alles in der Welt, ihre Auf und Abs haben, unerwartete Entwicklungen nehmen, überraschende Gestalten produzieren und irgendwann abflachen und verschwinden. Die Bachs zum Beispiel waren eine Musikerdynastie – bei Familienfesten, so wird es berichtet, sang die gesamte Verwandtschaft in korrekt geführter Harmonie, weil alle den Kontrapunkt und die Regeln des Generalbasses verinnerlicht hatten. Einer von ihnen, ein gewisser Johann Sebastian, wurde einer der größten Komponisten aller Zeiten. Das handwerkliche Rüstzeug hat er seinen Söhnen weitergegeben, in der Frage des Genies waren sie auf sich selbst gestellt. Einige erreichten hervorragende Stellungen und waren zu Lebzeiten berühmter als ihr Vater, andere bewegten sich im soliden Mittelmaß, wieder andere scheiterten menschlich und künstlerisch. Von der Enkelgeneration sind keine künstlerischen Höhenflüge mehr bekannt, und sogar ihre Namen sind vergessen.

Die Brüder Corneille und Colombo Max waren, wie die Bach Söhne, die Letzten einer Dynastie, in ihrem Fall einer in Böhmen beheimateten, bis ins 17. Jahrhundert zurückreichenden Familie von Kunsttischlern, Orgelbauern, Malern und Bildhauern, und wie bei den Bach-Söhnen war ihr Vater der wahrscheinliche Höhepunkt. Dieser Gabriel Cornelius Max, der Vater von Corneille und Colombo, geboren am 23. August 1840 in Prag, war eine jener außergewöhnlichen Gestalten, die eine Tradition durchbrechen und ganz neue Wege gehen. Gabriels Maltalent war außerordentlich - sein Vater Joseph Max, der die Fassade des Prager Rathauses mitgestaltet und drei der Figuren auf der berühmten Karlsbrücke geschaffen hatte, wollte ihn neben Raffael und Michel(angelo) als Dritten im Erzengel-Malerolymp wissen. Die akademische Ausbildung langweilte Gabriel, wahrscheinlich weil er das, was man ihm beibringen wollte, längst konnte. Er erwog, Naturwissenschaftler zu werden, aber erregte als Achtzehnjähriger Aufsehen mit einem Gemälde, dessen Titel programmatisch für sein weiteres Schaffen war: „Richard Löwenherz tritt an die Leiche seines Vaters und sie blutet“. Mit dem Erlös des Bildes - der Prager Kunstverein hatte es angekauft - finanzierte er eine Reise an die Nordsee. Das Dunkle, Riesenhafte, Unendliche faszinierte ihn. Ein kaiserliches Stipendium an der Wiener Akademie der Künste wurde ihm entzogen, weil er, anstatt die Malklassen zu besuchen, im Seziersaal des Allgemeinen Krankenhauses Studien betrieb. An der Münchner Akademie lehnte ihn Kaulbach wegen Talentlosigkeit ab, in Wahrheit wohl eher aus Angst vor seinem Talent. Carl von Piloty förderte ihn, seine Bilder wurden 1867 bei der Pariser Weltausstellung gezeigt, mit Ende zwanzig war Gabriel Max eine europäische Berühmtheit. Er kaufte ein Grundstück in München, erbaute ein Wohn- und Atelierhaus und kaufte ein Haus in Ammerland (das in jüngerer Zeit als die dem Verfall preisgegebene „Villa Max“ traurige Berühmtheit erlangt hat). Er heiratete Emma Kitzing, die Tochter eines Münchner Oberstabsarztes, seine Kinder Ludmilla, Corneille und Columbus wurden geboren. Bald nach ihrer Geburt begann er eine Affäre mit Ernestine Harlander, einer Generalstochter, und als die Kinder im Pubertätsalter waren, verließ er die Familie. Die neue Frau bekam ein Haus in Ambach, das spätere Cammerer-Haus, am Hang gegenüber der Gastwirtschaft Huber. Die Kinder blieben bei der Mutter und sahen den Vater nur noch selten. Der war durch sein Bild „Christus erweckt des Jairus Töchterlein“ inzwischen weltbekannt geworden.

Mit vierzig Jahren wurde Gabriel Max geadelt. Zu dieser Zeit hatte er längst die Affen als die besseren Menschen entdeckt. Er scharte bis zu vierzehn von ihnen um sich, pflegte, studierte und porträtierte sie, entdeckte an ihnen menschliche und allzu menschliche Züge, und wenn sie des ungewohnten Klimas wegen starben, sezierte und präparierte er sie mit unendlicher Sorgfalt. Ihre Gebeine, aufs Genaueste beschriftet, bildeten den Grundstock seiner Knochensammlung, die er systematisch erweiterte und die im Lauf der Jahre monströse Züge annahm. Kein Wunder, dass der berühmte Gabriel von Max als Sonderling galt. Denn zu seinem schwer zugänglichen, grüblerischen Wesen kam seine Beschäftigung mit Okkultismus, Spiritismus und Hypnose im Umkreis der Freiherren Carl du Prel und Albert von Schrenck-Notzing (Letzterer sein Ammerlander Nachbar), welche er mit derselben Intensität und Leidenschaft betrieb wie alle seine anderen Aktivitäten. Über die viel beraunte und belächelte Praxis des „Tischerückens“ gibt es eine wunderbare Schilderung des Schriftstellers und Satirikers Hanns von Gumppenberg, der in denselben Kreisen verkehrte wie Gabriel Max: Bald ertönte ein eigentümliches Knistern und Knacken, das aus dem Holz des Tisches zu kommen schien, und dieser geriet erst in zitternde, dann in allerlei schwankende, drehende und stoßende Bewegung, die, wie ich mir sagen musste, weder durch Muskelanstrengungen, noch durch Druckeinwirkungen des reglos verharrenden Mediums zu erklären waren. Die Bewegungen des hölzernen Vierfüßlers steigerten sich schnell zu größter Heftigkeit und Ausgelassenheit. Das Medium erklärte, dass sie daran ihren persönlichen Schutzgeist „Rego“ erkenne. Kaum hatte sie das gesagt, als der ziemlich schwere Tisch emporschnellte und sie wie ein freudig hochspringender Hund mit beiden Beinen umhalste. Sie sprach nun ihrem Schutzgeist zu, sich manierlich zu betragen, worauf er die zwei Tischbeine wieder herunterließ, dann aber mit vier Beinen auf der Diele umso heftiger rumpelte und tobte. Gumppenberg, reichlich naiv, veröffentlichte seine Erkenntnisse und erntete üblen Spott, nicht zuletzt von seinem Kollegen Frank Wedekind. Gabriel Max goss sie in berühmte Gemälde „Die Seherin von Prevost“, „Die Seherin von Prevost im Hochschlaf“, „Die ekstatische Jungfrau Katharina Emmerich“, „Bei der Wahrsagerin“ und andere, die seinen Ruhm noch steigerten.

Mit 60 Jahren wurde Gabriel von Max in den Ritterstand erhoben. Freunden und Kollegen wurde er immer weniger greifbar. Ein Zeitgenosse erinnert sich: „In der Öffentlichkeit als berühmter Mann begehrt, aber nie sichtbar, unzugänglich, von Angesicht kaum bekannt, forderte er mit seiner seltsam-fremdartigen, poetisch-packenden Kunst seit Langem die Legendenbildung heraus.“ Georg Jacob Wolf meint: „Gabriel Max war ein Gott und sein Werk ein „Welträtsel“ für alle. In seiner Kunst war er ein großer Sieger.“ Sein Einfluss schwand in dem Maß, als französische Impressionisten das Interesse erweckten. Gegen Ende seines Lebens galt er als künstlerisch veraltet. Er vergrub sich in Schriften und Notizen zu Naturwissenschaften, Spiritismus und Weltanschauung, klagte über Geldsorgen und entwickelte wachsenden Hass auf Katholiken und Juden. Er starb am 24. November 1915 in München.

Wie wächst man auf als Kind eines solchen Vaters, in einem Haus voller Knochen und ausgestopfter und lebendiger Tiere? Läuft man davon? Mutiert man automatisch selbst zum Sonderling? Gabriel von Max scheint ein bemühter Vater gewesen zu sein, der seinen Kindern viel Freiheit ließ, vielleicht auch aus Mangel an Interesse, und sie nicht dünkelhaft erzog. In München durften sie mit Schulkameraden Maskeraden und Faschingsfeste feiern und dafür angeblich auch die väterlichen Sammlungen plündern, sommers erhielten sie in Ammerland Privatunterricht und durften alles, was Kinder gern tun: schwimmen, Boot fahren, wandern und mit Gleichaltrigen Freundschaft schließen. Das Malerhandwerk lernten sie so wie andere Kinder das Laufen, auch ihr wissenschaftliches Interesse wurde geweckt. Irgendwann standen sie vor der Frage, was aus ihnen werden sollte: In die väterlichen Fußstapfen treten – ja oder nein? Und wenn ja – wie? Als Epigonen wie Herbert von Bismarck, oder als Rebellen wie Klaus Mann? Die Max-Söhne fanden, ob aus Zufall oder eigener Weisheit, eine glückliche Balance: Sie nutzten den Wettbewerbsvorteil, den das frühe Training durch den Vater ihnen verschafft hatte, aber waren klug genug, sich einer soliden Ausbildung zu unterziehen und sich nicht auf des Vaters ureigenes Gebiet zu wagen – Gabriel von Max hatte seine spezielle Kunstrichtung in einer Weise ausgereizt, die den Söhnen, hätten sie es ihm hier gleichtun wollen, nur Spott und Misserfolg hätte eintragen können. Geleitet durch ihr glückliches Naturell, vielleicht auch durch sein Beispiel abgeschreckt, verließen sie die dunkle Welt des Vaters und drängten ins Helle, Normale, Menschliche, man könnte auch sagen Bayerisch-Bäuerliche. Das gab ihnen Heimat, Sicherheit und Leichtigkeit und ist die Basis ihres eigenen künstlerischen Erfolgs und Ruhms. Anstatt Wahrsagerinnen auf dem Totenbett und sarkastisch dreinblickende Affen malten sie die Kirche in Holzhausen, den Bootssteg vor ihrem Haus und die Knaben und Mädchen aus den umliegenden Höfen. Die helle Farbgebung, ganz anders als die des Vaters, ergab sich aus dem Farbenspiel von Alpen, Wiesen und See, die Inspiration dafür holten sie sich in Italien, wo sie sich monatelang aufhielten, ohne aber, wie Feuerbach und andere vor ihnen, zu „Deutsch-Römern“ zu werden. Bei aller Selbstständigkeit waren sie bescheiden genug, sich als Kinder ihres Vaters zu betrachten. Vielleicht haben sie deshalb mit Vorliebe Kinder gemalt, also Wesen, die das Leben mit seinen Möglichkeiten und Unwägbarkeiten noch vor sich hatten, und vielleicht zeigt sich auch hier ein bewusster oder unbewusster Gegensatz zu dem todessehnsüchtigen, dem Morbiden zugeneigten Vater. Sie selbst konnten keine Kinder bekommen, und auch das hatte mit ihrem Vater zu tun: Er hatte sie mit Röntgenstrahlen in Kontakt gebracht, deren Gefährlichkeit noch nicht ausreichend bekannt war, und so angeblich ihre Zeugungsfähigkeit zerstört. Inwieweit sie darunter litten und es ihm verübelt haben, wussten nur sie selbst.

Corneille und Colombo Max wurden 1875 und 1877 am 12. bzw 10. Mai in München geboren, hatten also fast am gleichen Tag Geburtstag. Da sie dieselben Initialen hatten und sich auch im Wesen glichen, waren sie ein Gespann fast wie Max und Moritz - und sollen sich im Aushecken von Streichen und dem allgemeinen Terrorisieren der Ammerlander Nachbarschaft auch ungefähr so verhalten haben. Ein Photo zeigt sie als Indianer verkleidet, mit kostbarem, wahrscheinlich aus den väterlichen Sammlungen „geborgtem“ Federnschmuck und originalen Lederhemden und Mokassins. Auf die Rückseite hat jemand geschrieben: „Max Kinder mit Ammerlandern – beinahe den Wald angezündet“. Beide Max-Söhne waren begeisterte Sportler und Naturburschen. Corneille sammelte Ringelnattern in einem Sack und bot sie erschreckten Bürgern als Geschenk an. Den Fischern schnappte er die besten Hechte weg. Beide Maxens waren Mitbegründer des Ammerlander Ruderclubs. Sie reisten gemeinsam, feierten gemeinsam und waren auch in ihren Liebesabenteuern irgendwie verbunden. Ihr Malstil, ihre Thematik, ihre Farbgebung, ihr künstlerisches Credo ähnelten sich, wie es nur bei Brüdern oder einander sehr nahe stehenden Menschen denkbar ist. Beide waren den schmucken Uniformen des bayerischen Militärs zugetan, beide zogen in den Ersten Weltkrieg, und hier teilt sich ihr Schicksal. Corneille Max, der als einer der weltbesten Porträtisten galt, erkrankte an der Lunge in Folge einer im Krieg durchlebten Giftgasattacke, oder, nach neuerer Erkenntis, an einer Rippenfellentzündung. Er konnte nur noch mit Hilfe eines Pneumothorax atmen und muss furchtbar gelitten haben. Seine Frau Stora, genannt Storchl, geborene Gedon, die „Hexenmuru“ in Kadidja Wedekinds Roman „Kalumina“, berichtet: Mit zwei Nadeln im Rücken muss er sitzen, um das entsetzliche Wasser immer wieder zu entfernen und um Stickstoff in den Hohlraum zu pumpen. Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass dies ein verzweifeltes Experiment ist. Hoffentlich wird dem armen Kranken ein Erfolg beschert; es wäre furchtbar, wenn auch dies nicht helfen würde. Es half nicht, und dem erfolgreichen Maler war der Heilerfolg verwehrt. Corneille Max, oder Cornel, wie ihn alle nannten, starb am achtundvierzigjährig am 22. Februar 1924. Seine Frau widmete ihm ein Gedicht, das sein Wesen, seine Kunst, aber auch seine Ammerlander Heimat beschreibt:

Was er liebte, war die strahlende Sonne,
die schimmernde Luft, das junge Grün –
Was er liebte, waren die Wolken,
die wie mahnende Boten am Himmel ziehn,
der lichte See, in dem sich spiegelt
der fernen Berge verschimmerndes Blau
und was er liebte wie innige Freunde
waren die Bäume in Feld und Au.
Er liebte die Jugend, die Schönheit, die Lieder,
er ahnte den Geist im tiefen Gemüt.
So war er selbst wie eine der Wolken,
die kurze Zeit lächelnd am Himmel zieht.
Ein Lebenskünstler von ernsten Schlag,
ein froher, ein wärmender Sommertag.

Colombo oder Colomb überlebte seinen Bruder um mehr als fünfundvierzig Jahre und war nun der letzte Max, Schlusspunkt der Dynastie, dem es zufiel, in seiner Person zu vereinen und zu Ende zu bringen, was seine Vorfahren und vor allem sein Bruder angelegt hatten. Ein Menschen- und Künstlerbild von seltener Originalität, Integrität und Liebenswürdigkeit zeichnet sich ab. Colombo führte Aufträge, die der Tod Corneilles vereitelt hatte, im Sinn des Bruders zu Ende. 1928 gewann er den Preis für das schönste Frauenporträt bei der jährlichen Ausstellung der Münchner Künstlergenossenschaft im Glaspalast. 1932 nannte ihn Richard Braungart in Westermanns Monatsheften einen „Maler der Anmut“, dessen „Stärke die Zartheit“ ist. In seinen Bildern zeige sich eine „gemalte Lebensauffassung, die Natürlichkeit, Grazie, Schwerelosigkeit und Unmittelbarkeit in den Vordergrund“ stelle und sich abseits halte vom künstlerischen Zeitgeschmack und dem Verdikt der Kunstkritik, das manche seine Bilder „nicht für Kunstwerke“ hielt. „Bilder, die das Schöne so schildern, wie es das formbegeisterte Auge sieht“, meint der Rezensent, gälten „nicht als zeitgemäß, ja überhaupt nicht als Kunst“.

Das war 1932. Ein Jahr später waren gerade Bilder, die „das Schöne so schildern, wie es das formbegeisterte Auge sieht“ sehr „zeitgemäß“, und es wäre Colombo Max ein Leichtes gewesen, sich denen anzudienen, die den „neuen Kunstgeschmack“ bestimmten und unter ihrer Förderung Karriere zu machen und Geld und Ehre anzuhäufen – Legionen deutscher Künstler haben genau dies getan. Colombo Max gab weder seinen Malstil, noch seine geistige und politische Unabhängigkeit auf. Ammerland war dafür ein guter Rückzugsort. Er malte Fresken in der Holzhauser Kirche, nahm lokale Aufträge an, wurde für Kunstbetrieb und Gesellschaftsleben sozusagen unsichtbar. 1935 starb seine Frau Paula, die ihm auch künstlerisch eine Partnerin gewesen war, 1937 malte er sich selbst, ernst und grimmig blickend, mit einer Rautenfahne und einem Kruzifix demonstrativ neben sich, als Akt des Protests und der Verachtung gegenüber den Machthabern und der Rückbesinnung auf die Werte des unabhängigen, widerborstigen Bayern- und Bauerntums, als dessen Teil er sich fühlte. Auch Porträts der Geschwister Scholl und anerer Mitglieder der „Weißen Rose“ entstanden. 1945 wurde Tommi Max, der Sohn seiner Frau Paula, den er als den eigenen betrachtete, von Nazis erschossen, weil er sich der Sprengung der Großhesseloher Brücke widersetzt hatte. Bei einem Bombenangriff verlor Colombo sein Münchner Atelier. Viele seiner Arbeiten und ein Großteil des Nachlasses seines Vaters verbrannten. Umso wichtiger wurde ihm das Haus in Ammerland. Zum Kriegsende malte er ein Votivbild für die Holzhauser Kirche. Man sieht einen amerikanischen Panzer und kniende Bauern, die für die Errettung danken, die seinem Sohn Tommi versagt geblieben war.

Über das Leben des alten Colombo Max erfahren wir Einzelheiten durch den Ammerlander Chronisten Hubert Rank, der ihn, wie viele alte Ammerlander, ein Leben lang gekannt und geliebt hat. Colombo Max ging sozusagen mit Leib und Seele in seiner Ammerlander Umgebung auf. Da er Mitglieder fast aller Familien porträtiert hatte und seine Bilder in vielen Häusern als Kostbarkeiten hingen, war er in fast allen Häusern zu Hause, als Teil der Familie oder zumindest als Nennonkel. Fragte man ihn nach der Zeit, schaute er über den See auf den Tutzinger Kirchturm und sagte: „Halb zehn“, orientierte sich aber an der Position des Dampfschiffes, dessen Fahrplan er genau kannte und freute sich, wenn der Frager seine phänomenal scharfen Augen bestaunte. Bei Sturm machte er sein Boot „Kaiser Wilhelm“ startklar um diejenigen herauszuholen, deren Segelkünste weniger entwickelt waren als seine eigenen. Was später die Waserwacht tat, übernahm jahrzehntelang mit großer Selbstverständlichkeit Colombo Max, und nicht wenige Gekenterte oder sonstwie in Seenot Geratene verdanken ihm ihre glückliche Rückkehr zum Ufer. Für das Vereinslokal des Ammerlander Segelclubs malte er ein Fresko, für Faschingsfeste im „Gerer-Saal“ schuf er die Dekorationen. Er hatte als Porträtist und Landschaftsmaler einen hervorragenden Namen und musste sich um Aufträge keine Sorgen machen. Dass der ganz große Erfolg ausblieb hat ihn nach Aussage derer, die ihn kannten, nicht gekränkt und nicht einmal besonders berührt – er nahm, so heißt es, Erfolg und Misserfolg, ja das Leben selbst „wie das Wetter“, also so, wie es gerade kam. Ruhe und Fröhlichkeit gingen von ihm aus und die Gelassenheit eines Menschen, der sich nicht überschätzt, aber weiß, was er wert ist. Über den Vater und dessen makabre Studien, inklusive Schädelmessungen und Gerhirnvergleiche, erzählte er ungerührt Anekdoten: Wenn frische Köpfe ankamen, mussten wir sie auskochen. Da haben wir uns das Fürchten abgewöhnt. Im Winter sah man ihn auf Schlittschuhen über das Eis flitzen, bewaffnet mit einem langen Stock, der ihn retten sollte, wenn er einbrach – und es ein paar mal wohl auch musste. Besuchte man ihn, fand man mitunter einen Zettel an seinem Haus: „Bin im Wald. C.M.“ Noch mit 80 Jahren stieg er auf hohe Bäume und ließ sich im Wind wiegen, vermutlich ähnlich, wie er es als Junge getan hatte. Er war ein mäßiger Esser und Trinker, rauchte nicht und blieb von Krankheiten verschont. Mit 93 Jahren fand er, es sei genug. Seine Haushälterin sah ihn vor dem Spiegel stehen und hörte ihn sagen: „Mutter, wann holst du mich endlich!“ Er starb am 5. September 1970 in Ammerland, angeblich an einem Nierenversagen, und wurde auf dem Holzhauser Friedhof begraben. Die Malerdynastie Max war damit ausgestorben. In Corneille und Colombo Max hatte sie einen künstlerisch bedeutsamen und menschlich anrührenden Ausklang gefunden, der im Nachhinein auch auf die Vorfahren ein heiteres, versöhnliches Licht wirft.